Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus
Frank Littek liest aus„Retter in dunkler Zeit”
Zum 80. Mal jährte sich am 27. Januar 2025 die Befreiung des KZ Auschwitz. Aus diesem Anlass fand am 30.01.2025 im Dillenburger Gymnasium eine Holocaust-Gedenkveranstaltung statt.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Studiendirektorin Kerstin Renkhoff übernahm Dr. Christoph Münz von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Dillenburg das Wort. Er wies auf den Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7.10. 2023 mit über 1.100 Todesopfern hin – der größte Pogrom an einem Tag seit dem Holocaust. Münz äußerte sein Entsetzen und größte Besorgnis wegen dieser Entwicklung und des sich in Europa ausbreitenden Antisemitismus.
Autorenlesung
Frank Littek stellt in seinem Buch „Retter in dunkler Zeit” alle 651 Deutsche vor, die den Titel ‘Gerechte unter den Völkern’ verliehen bekamen. Mit diesem Ehrentitel, der von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem vergeben wird, werden die Menschen gewürdigt, die in der NS-Zeit nachweislich Juden geholfen und damit deren Leben gerettet haben. Am Gedenkabend ging Littek in Kurzportraits auf 16 von ihnen besonders ein.
Die deutschen „Gerechten” hatten unterschiedliche Herkunft, Ausbildung und Tätigkeit; sie kamen aus allen Gesellschaftsschichten und waren auch in unterschiedlichem Alter. Ein Muster- oder Heldenprofil läßt sich dabei nicht erkennen. Auch die Motivation der „Gerechten” war sehr unterschiedlich: von spontan über mitleids- bzw. gefühslsgesteuert und moralisch-religiös bis hin zu so etwas wie „intellektuell”, „kognitiv”, „technokratisch” und „verwaltungstechnisch”, weil manche zwar grundsätzlich die NS-Herrschaft aus politischen Gründen abgelehnt haben, aber dennoch im NS-Apparat mitwirkten.
Zu dieser letzten „verwaltungstechnischen” Gruppe gehörte der Rechtsanwalt Hans Georg Calmeyer. Er war der Leiter der Abteilung „Innere Verwaltung“ im „Reichskommissariat Niederlande“ und musste u.a. in „rassischen Zweifelsfällen“ entscheiden. So hat er fast 6000 „Entscheidungsfälle“ „bearbeitet”. Calmeyer hat sich, gemeinsam mit vertrauten Mitarbeitern, dazu entschieden, massenhaft Taufscheine, anthropologische Gutachten und weitere Abstammungsentscheide zu fälschen, und Juden zu „Ariern” umdeklariert. 1941 bis 1945 hat Calmeyer in den Niederlanden mindestens 2866 Juden vor der Deportation in die Vernichtungslager gerettet und damit mehr als doppelt so viele wie der berühmte deutsche „Gerechte” Oskar Schindler (Film „Schindlers Liste”).
Littek hat auch eine andere „Vorlage” aus dem Film „Der Pianist” kurz portraitiert: den Wehrmachtsoffizier Wilhelm Hosenfeld. Dieser hat – christlich motiviert – u. a. mehreren polnischen Juden, darunter dem Pianisten und Komponisten Władysław Szpilman, das Leben gerettet.
Das Publikum - über 50 Personen unterschiedlichen Alters - stellte am Ende der Lesung Fragen, die sich im Wesentlichen auf das Denuntiantentum, das Mitwissen um die Judenvernichtung und die Zivilcourage bezogen haben. Dabei blieb Franz Littek im Grundtenor pessimistisch: „Konformität, Angst, Missgunst, Gier und Neid, aber auch Passivität, gehören zu Konstanten der menschlichen Psyche”, so der Autor.